Die klassische Pracht des Danziger Tisches

Die Entdeckung des gegenwärtigen Ạntlitzes des Danziger historischen Erbes wird voller, wenn man sich in die Schlupfwinkel der alten Danziger Küche entführen lässt.

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Danziger Goldwasser
Danziger Goldwasser
Fot. Wikimedia

 

In den letzten Jahren gibt es immer mehr Gelegenheiten dazu, was der Tatsache geschuldet ist, dass die Anzahl der Gastronomen steigt, die in der Wiederherstellung der Erinnerung an den Geschmack des Danziger Tisches nicht nur einen Weg erkennen, dem Lokal Profil zu verleihen, sondern auch eine Möglichkeit sehen, ihre eigenen Leidenschaften und Ambitionen zu verwirklichen. Dadurch gibt es heute auf der kulinarischen Karte von Danzig eine ganze Reihe von Adressen, unter denen einheimische kulinarische Traditionen auf verständliche und für einen modernen Empfänger attraktive Weise erzählt werden. Da fällt es schwer, der Versuchung eines aufregenden Ausflugs entlang des Weges der Klassiker des Danziger Tisches zu widerstehen.

Diejenigen, die bei Gastronomen, die die alten Traditionen der Stadt pflegen, nach Piroggen und Schweinskotelett suchen, werden enttäuscht sein. Stimmt, in Danzig kann man ohne Probleme eine Schüssel mit Tomatensuppe sowie eine Scheibe Brot mit Schmalz essen, aber die kulinarische Reise hat durchaus wenig gemein mit der Entdeckung einheimischer kulinarischer Identität. Danzig ist eine hanseatische Hafenstadt - seit Jahrhunderten ein mächtiges Zentrum des Handels, der Kaufmannschaft und des Handwerks. Eine Chance auf ein neues und besseres Leben suchten hier Ankömmlinge aus den Niederlanden, Schotten sowie Juden und nach dem Krieg auch eine ziemlich große Gruppe von Bewohnern der ehemaligen polnischen Ostgebiete. Diese beiden Faktoren – die Eigentümlichkeit der Hafenstadt, also einer wohlhabenden und weltoffenen Stadt, sowie das sich im Verlauf der Geschichte dynamisch verändernde multikulturelle Mosaik der Stadt haben zur Folge, dass mit dem Danziger Tisch nicht nur vorzüglichste Fische und edles Fleisch in Verbindung gebracht werden, sondern auch überseeische Aromen und Gewürze.

Den Reichtum und den Schwung der alten Danziger Küche dokumentieren bis heute erhaltene Rezepturen der Gerichte und Tränke. Schon allein das Verfahren zur Herstellung des seit dem 15. Jahrhundert gebrauten Jopenbieres beeindruckt selbst einen ausgewiesenen Bierbruder. Das ausschließlich im Winter gebraute, unter Verwendung von Schimmelpilzen fermentierte und ein Jahr gelagerte Bier verleiht eine außergewöhnliche Kraft - ein öliger Extrakt, der früher weniger als ein Trank denn als Gewürz oder sogar als Medikament verwendet wurde. Heute, nach mühsamen Versuchen einer mutigen Rekonstruktion des Jopenbieres durch die Brauer von Browar PG4, kann man es in Danzig wieder probieren.

Das Abenteuer mit dem Jopenbier ist zweifellos eine Herausforderung für die Mutigen, schließlich ist seine aggressive Extraktion nicht nach jedermanns Geschmack. Liebhaber klassischer Bierinkarnationen finden immerhin ohne Schwierigkeiten Trost in den übrigen Fässern von Browar PG4 und denen von einigen anderen neu entstandenen Handwerksbrauereien, die mit bewundernswerter Ehrfurcht die Brautradition der Stadt wiederaufleben lassen. Gute Adressen für einen ehrbaren Krug Danziger Bieres fördern in Langfuhr (Wrzeszcz) die Brauerei "Vrest", die mit prestigeträchtigen Preisen ausgezeichnete Mottlauer "Brovarnia" sowie die am Fuße des Danziger Neptun gelegene Brauerei "Piwnica Rajców".

Liebhaber seltener Trünke mit spannender Herkunft finden Genugtuung in einem Glas des Kräuterlikörs Goldwasser. Seine Geschichte reicht zurück bis ins 16. Jahrhundert, als der aus den Niederlanden hierher gekommene Ambrosius Vermoolen an der heutigen ulica Szeroka 51 einen Produktionsbetrieb und ein Verkostungslokal für Liköre gründete. Heute befindet sich im Mietshaus unter dieser Adresse das Restaurant "Zum Lachs”, dessen Besitzer die Klassik der Danziger Küche mit der dem Ort zugehörigen Erhabenheit und Eleganz pflegen. Auf der Speisekarte verdienen hier die kräftige Fischsuppe mit Flusskrebshälsen sowie der gebackene Lachs auf Hummersauce, der mit einer goldenen Flocke verziert ist, besondere Aufmerksamkeit.

Die Rezeptur und die Rechte an dem im "Zum Lachs” geborenen Gold-Likör gingen im Laufe der Jahre durch verschiedene Hände. Heute wird er in mehreren Varianten an verschiedenen Standorten in Europa hergestellt und ist auch in Danzig erhältlich. In seiner reinen Form wird er im Mottlauer Restaurant "Goldwasser" serviert, während in dem ihm benachbarten Bierwirtshaus "Gdański Bowke" ein Bestandteil von Schokoladenpralinen ist.

Um die Wahrheit zu sagen, griffen die alten Danziger Bowken (mit anderen Worten Porträuber) lieber als nach dem außergewöhnlichen Likör nach dem egalitären Machandel - dem in der Zeit der Freien Stadt beliebten (Werder)Wacholderschnaps, den man in Danzig auch heute noch probieren kann. Im Roman "Die Blechtrommel” erwähnte ihn der Danziger Nobelpreisträger Günter Grass.

Wie sich herausstellt, bezog sich Grass in seinem Arbeiten gern auf die Küche, meist auf einfache, hausgemachte Geschmacksrichtungen. Erinnerungen an sie sind heute im Restaurant der Pension Villa Ewa zu finden, in der der Nobelpreisträger häufig zu Gast war. Abseits gelegen, in einer ruhigen grünen Ecke von Langfuhr (Wrzeszcz), ehrt sie das Andenken an ihren außergewöhnlichen Gast mit zeitgenössischen Interpretationen der kulinarischen Erinnerungen des Meisters, die in einer besonderen Karte mit dem Titel "Günter Grass' Speisekammer” gesammelt wurden. Sie enthält unter anderem eine kräftige Brühe mit Rindfleisch-Süße, einen Steinbutt in Weißwein und bittersüße Pfannkuchen.

 

Artur Michna

Gastronomie-Kritiker